Kroaten in der Welt: Eine Geschichte, die seit mehr als einem Jahrhundert dauert
Wenn wir über die Zahl der im Ausland lebenden Kroaten sprechen, betreten wir ein Feld, das zugleich faszinierend, emotional und sehr unübersichtlich ist. Heute wird häufig behauptet, dass die kroatische Diaspora rund vier Millionen Menschen umfasst. Manche Autoren nennen sogar höhere Zahlen, doch diese Angaben lassen sich nicht eindeutig belegen. Der Grund liegt auf der Hand. Der kroatische Staat hat jahrzehntelang kein System entwickelt, um seine Menschen im Ausland zu erfassen. Es entstanden weder vollständige Register noch umfassende Studien oder Datensammlungen. Die Diaspora blieb ein fernes und vernachlässigtes Thema. Deshalb müssen wir uns heute auf Schätzwerte verlassen.
Trotz dieser Unsicherheiten existieren relativ stabile Größenordnungen, die ein realistisches Bild vermitteln. In Südamerika leben schätzungsweise rund achthunderttausend Menschen kroatischer Abstammung. In Kanada etwa dreihunderttausend. In den Vereinigten Staaten rund eine Million zweihunderttausend. In Europa etwa eine Million dreihunderttausend. Australien und Neuseeland kommen gemeinsam auf ungefähr vierhunderttausend. Diese Zahlen sind Richtwerte. Ein Teil basiert auf Volkszählungen, andere auf Schätzungen der Gemeinschaften und historischen Analysen. Sie sind nicht exakt, zeigen jedoch eindeutig, dass die kroatische Nation über den gesamten Globus verstreut ist und ihre Zahl die Bevölkerung des Heimatlandes bei weitem übersteigt.
Die Geschichte der kroatischen Auswanderung reicht mehr als ein Jahrhundert zurück. Die ersten großen Wellen entstanden gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts, als Armut viele Menschen zwang, nach einem besseren Leben zu suchen. Viele fanden ihren Weg nach Amerika und Australien. Die zweite Welle folgte zwischen den beiden Weltkriegen, als politische Instabilität und wirtschaftliche Krisen junge Männer über die Ozeane trieben. Die dritte Welle setzte nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Tausende flohen vor dem repressiven kommunistischen System und bauten neue Leben in Kanada, Argentinien, Chile, den Vereinigten Staaten und Westeuropa auf.
Diese drei historischen Phasen prägten die kroatische Diaspora. Menschen wanderten aus auf der Suche nach Sicherheit, Arbeit und Freiheit. Sie nahmen ihre Geschichten, ihre Lieder und ihre Sehnsucht mit. Einige bewahrten Sprache und Identität. Andere assimilierten sich und verloren die sichtbare Verbindung zur Heimat. Das ist ein natürlicher Prozess und erklärt, warum es schwierig ist, genau zu bestimmen, wer heute zur Diaspora gehört. Wie viele sich nicht mehr als Kroaten bezeichnen, lässt sich nicht genau sagen. Daher arbeiten wir mit Spannbreiten.
In jüngerer Zeit hat sich ein weiterer bedeutender Auswanderungsstrom entwickelt. In den vergangenen zehn Jahren haben mehr als fünfhunderttausend Menschen Kroatien verlassen. Diese Entwicklung hat die demografische Struktur des Landes tiefgreifend verändert. Junge Familien, Fachkräfte und gut ausgebildete Menschen gingen ins Ausland, um Stabilität und neue Chancen zu finden. Andere gingen, weil sie sich von den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umständen erschöpft fühlten. Wie viele von ihnen eines Tages zurückkehren werden, ist schwer vorherzusagen. Die langfristigen Folgen sind unsicher, doch die Auswirkungen sind bereits deutlich sichtbar.
Fasst man all diese Kapitel zusammen, entsteht das Bild eines Volkes, das durch ständige Migration geprägt wurde und heute von Südamerika bis Skandinavien und Australien präsent ist. Die kroatische Diaspora ist keine einheitliche Gemeinschaft. Sie ist vielfältig und komplex. Sie umfasst Familien, die vor hundert Jahren ausgewandert sind, ebenso wie jene, die erst vor wenigen Monaten gegangen sind. Manche sprechen noch Kroatisch. Andere nicht mehr. Wieder andere versuchen, die Sprache zurückzugewinnen. Identität verändert sich, aber die Wurzel bleibt.
Die größte Herausforderung ist das Fehlen systematischer Forschung. Kroatien hat weder strukturierte Register aufgebaut noch langfristige Programme entwickelt, um seine Menschen im Ausland einzubinden. Deshalb verfügen wir weder über präzise Statistiken noch über ein umfassendes Verständnis des menschlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Potenzials der Diaspora. Was wir haben, sind Schätzungen der Gemeinschaften und jahrzehntelange Erfahrungen der Menschen in der Ferne. Und diese zeigen, dass die kroatische Nation im Ausland alles andere als klein ist. Sie ist stark, kompetent und erfahren. Sie kann zu einem der wichtigsten Entwicklungspfeiler Kroatiens werden.
Die Geschichte der Auswanderung ist nicht nur eine Geschichte des Weggehens. Sie ist auch eine Geschichte der Verbundenheit. Sie zeigt eine Bindung, die fortbesteht. Selbst wenn Menschen Tausende Kilometer entfernt leben, tragen viele immer noch ein Stück Kroatien in sich. Heute ist die Zeit gekommen, diese verstreute Energie wieder zu verbinden. Zu erkennen, dass die kroatische Nation viel größer ist als ihr geografisches Maß. Und auf dieser Grundlage eine neue Vision eines Kroatiens zu entwickeln, das seine Menschen nicht mehr verliert, sondern sie wieder zusammenführt.